"Neue Sehnsucht nach Spiritualität" hieß eine Sendung des ZDF vor einigen Jahren. Diese Sehnsucht ist noch immer aktuell. Spiritualität, die Suche nach dem Überirdischen, dem Geistigen, ist der Wunsch vieler Menschen, die spüren, dass ihnen etwas fehlt, das unserm ach so profanen, schwierigen Leben Sinn geben könnte. Was fehlt uns? Wie können wir unserem Leben Sinn geben?

      Bei der Sendung des ZDF wurde als Erstes die Frage nach dem "Leben nach dem Tod" gestellt. Darüber lassen sich keine nachprüfbaren Angaben machen. Was uns dann erwartet bleibt im Dunkeln. Da gibt es keine Gewissheit. Das müssen wir abwarten. Wir können aber getrost darauf vertrauen, dass wir "in Gottes Hand" sind.

      Uta Ranke-Heinemann hat ins Gedächtnis gerufen: Gott hat Himmel und Erde geschaffen. Die Juden haben das Paradies erdacht, bzw. von den Babyloniern übernommen, und die Christen haben die Hölle erfunden.
      Nur nebenbei: Wie kann ein Gott, postuliert als "Gott der Liebe", den Menschen noch nach dem leiblichen Tod am Leben erhalten, um ihn mit grauenhaften Qualen zu strafen?

      Das führte zu der Frage nach Gott. Was verbinden wir mit Gott? Wer ist dieser Gott? Wie finden wir den Zugang zu Gott? An wen wenden wir uns? Was erwarten wir? Ist Gott , wie viele kluge Gelehrte dogmatisch festgelegt haben, die Liebe schlechthin?

      Ich kann dem nicht folgen. Gott, oder besser der "Ewige", das sind für mich unfassbare Kräfte, die um uns sind, an die wir uns wenden können. Die aber über unsere Vorstellungen hinaus gehen. Juden sprechen den Namen Gottes nicht aus. Aus Ehrfurcht! In den Gebeten und Liedern und Fürbitt-Gebeten in unserer Zeit, scheint es mir manchmal so, dass Gott mehr als ein "guter Kumpel" oder eine Art "Hausmeister" gesehen wird: "Mach er das...!" Die Ehrfurcht ist verloren gegangen.

      "Die Welt ist durch den Urknall entstanden",so sagt man. Mag sein. Aber die geistigen Kräfte, die diese Ordnungen und Gesetze in der Schwebe halten?

      "Spiritualität" sucht das Geistige, das Übersinnliche, die Verbindung zu Gott. Wir Menschen möchten so gerne Gott spüren, den Weg zu ihm finden, ihm zeigen, wie sehr wir ihn lieben, ihm vertrauen, auf ihn hoffen. Wir bitten um seinen Segen, sein fühlbares Eingreifen. Und manchen Menschen gelingt es wohl auch manchmal, Gottes Nähe ganz konkret zu spüren.

      Das sind Glücksmomente, die man aber nichtfesthalten kann. Es ist so schwer, zu akzeptieren, dass Gott nicht fassbar ist, weder zu sehen noch zu hören, noch irgendwie nachweisbar!

      IHN zu sehen, den Ewigen, ist uns Menschen versagt. Kein Mensch vermag Gott zu sehen. Wir deuten aber manche Erfahrungen der Hilfe, des Trostes oder schlimmen Geschehens, als Erleben göttlichen Handelns. Wir können nur staunend aufnehmen, wie uns von anderen in Bildern berichtet wird, dass Gott wie ein Adler auf seinen Flügeln trägt, wie eine Glucke schützend unter die Flügel nimmt, wie eine Mutter liebt, wie ein Vater leitet, im zartesten Lufthauch vorübergeht, und was der Bilder mehr sind. Wir Menschen können unser "Spüren", unser "Fühlen" nur in Bildern ausdrücken.

      Es gibt unendlich viele verschiedene Versuche, Gott zu finden. In allen Kulturen, in allen Zeiten. Menschen kasteien sich, hungern, frieren, verschließen sich vor der Welt, sprechen unendlich viele Gebete, verzichten auf Liebe und Familie und noch viele andere Freuden, um sich Gott angenehm zumachen, Ihm nahe zu kommen.

      Was ist das für ein Gott, der vor den Menschen alles Glück dieser Erde ausbreitet, und die Menschen sagen: "Das ist alles so fleischlich, so materiell, so primitiv. Wir suchen das Edle, das Geistige!" Ich bezweifle, dass Gott diese Zurückweisung alles dessen, was Er uns an Wunderbaren schenkt, gut heißt. Aber vielleicht schenkt er ihnen gerade deshalb ein besonders liebevolles Lächeln. Wer weiß?

      In den letzten Jahren suchten manche Menschen Gott oder die Göttin in sich selbst. Ich weiß nicht, ob sie dabei fündig geworden sind, bzw. was sie da Göttliches angetroffen haben. Für mich ist Gott der ganz und gar Andere. Der die Welt geschaffen und ihr ihre Ordnungen gegeben hat. Und uns Menschen die Aufgabe zugedacht hat, dass wir diese wunderbare Welt pflegen und bewahren – und mit einander gerecht und liebevoll umgehen sollen. Im Vertrauen auf Gottes Nähe. Er hat uns in der Tora die Weisung gegeben, wie wir leben sollen.

      Der Maler Marc Chagall ist im Chassidismus aufgewachsen, in Weißrussland. Dort herrschte sehr große Not, und die Menschen erhofften sich die Erscheinung Gottes jederzeit, in jeder möglichen Gestalt. Er schreibt: "Gott, wo immer du bist, hinterm Haus oder bei dem Schuster...,.erscheine mir doch..., zeige mir meinen Weg!"

      Rabindranath Tagore schreibt: "Mit meinen Liedern hab ich Dich gesucht, und meine Welt. An ihrer Hand ging ich von Haus zu Haus, von Tür zu Tür, mit ihnen tastete ich meinen Weg..." oder: "Alle sind Boten deiner Liebe, Herr, das Licht, das golden auf den Blättern tanzt, die Wolke, die in träumerischer Muße über das tiefe Blau des Himmels schwimmt, der Wind, der leise meine Stirn umfächelt. Alle sind Boten deiner Liebe, Herr!"

      Im sogenannten "Alten" Testament, zu Beginn der Geschichte Gottes mit dem jüdischen Volk, schickt Gott Abram fort von allem, was ihm vertraut ist und sagt u.a.: "Geh, werde Segen!"

      Wir beten im Vater Unser "dein Wille geschehe", "dein Reich komme", dann müssen wir etwas dafür tun. Wir sind hier auf Erden und haben hier die Aufgabe, am irdischen Reich Gottes mit zu bauen, damit jeder ohne Angst leben kann.

      Sind das Möglichkeiten, der Spiritualität?

      • darauf zu vertrauen, dass Gott da ist, an der Hand nimmt, führt, auch durch großes Elend. Juden, so habe ich vielfach gehört, haben gelernt, nicht zu fragen "Warum dieses Elend?", sondern zu überlegen "Wozu, was soll ich daraus lernen?" Und darauf zu vertrauen, dass wir in Gott geborgen sind.
      • sich zu freuen und zu danken, für die vielen Möglichkeiten, Schönheit zu erkennen, zu fühlen, und mit anderen zu teilen. Dankbar zu sein für unendlich viele Dinge, Erlebnisse und Erfahrungen.
      • "Segen zu werden" das bezieht sich auf die Gemeinschaft der Menschen unter einander. Da ist jeder Einzelne gefordert – nicht für sein eigenes "Seelenheil", sondern für das Heil, das Wohlergehen des Nächsten. Verantwortlich sein für die, die Hilfe, Zuspruch brauchen.
      • täglich mit zu bauen am Reich Gottes für die Menschen hier auf Erden.

      Spiritualität, die Nähe zu Gott, kann man vielleicht im Denken und Fühlen und Handeln finden. Vielleicht aber auch in Freude und Dankbarkeit. In der hebräischen Bibel, der Bibel Jesu, geht es immer um gerechtes, verantwortliches Handeln, und Demut vor Gott. Die zehn Gebote zu beachten, wäre ein ganz guter Einstieg in Spiritualität. So denke ich, aber ich weiß nicht, ob ich recht habe.

      Jeder Mensch, der sich um Nähe zu Gott bemüht, wird seinen eigenen Weg finden.